Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der führende Energiefachmann der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Jung (CDU), hat der Bundesregierung vorgeworfen, sie bereite Deutschland nicht auf die Möglichkeit eines völligen Stopps russischer Gaslieferungen vor. „Die Bundesregierung hat die Alarmstufe ausgerufen. Aber sie hat noch keinen Alarmplan für einen Total-Ausfall“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und die Bundesnetzagentur haben zwar davor gewarnt, dass die russische Erdgasleitung Nord Stream 1 durch die Ostsee nach einer regulären Wartungspause ab dem kommenden Montag nicht wieder ans Netz gehen könnte. Diese Möglichkeit wird auch in Simulationen durchgespielt, welche die Bundesnetzagtentur veröffentlicht hat. Dass aber Russland in seinem Konflikt mit dem Westen außer Nord Stream 1 auch die beiden Leitungsbündel durch die Ukraine und die Türkei stilllegen könnte, ist hier als Möglichkeit nicht durchgespielt.
Durch die Ukraine und die Türkei strömt im Augenblick zusammengenommen etwa genauso viel Gas nach Europa wie durch Nord Stream 1. Unter Fachleuten wird die Möglichkeit, dass Russland bald alle seine Leitungen stilllegen könnte, lebhaft diskutiert. Der russische Präsident Wladimir Putin könne „versuchen, durch Lieferstopps die Stabilität der westlichen Systeme zu testen“, sagte der Energiefachmann Andreas Goldthau von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik der FAS. „Er könnte kalkulieren, dass die soziale Stabilität bei uns gefährdet ist, wenn wichtige Industriezweige, die Glasindustrie oder die BASF in die Knie gehen.“ Das belgische Institut Bruegel schreibt auf seiner Website, um dieser Gefahr zu begegnen, müsse die EU ihren Gasverbrauch um 15 Prozent vermindern. Der CDU-Abgeordnete Jung hielt der Regierung Untätigkeit vor.
Weil die Ampelkoalition die Möglichkeit eines Totalausfalles ignoriere, lasse sie immer noch Sparpotenziale „links liegen“. Für Anreize sei es aber zu spät, „wenn erst eine Mangellage da wäre“. Die Union verlangt deshalb unter anderem, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke nicht wie vorgesehen am Ende dieses Jahres abzuschalten, sondern sie befristet weiter am Netz zu lassen. Dadurch soll es leichter werden, auf Gaskraftwerke zu verzichten.
Bild: Gas-Verdichterstation Mallnow / Foto: über dts Nachrichtenagentur