Montag, 07.10.2024
https://hdl.loc.gov/loc.pnp/ds.13332

Oscar Rudolph Neumann war ein deutscher Ornithologe, viele Expeditionen führten ihn nach Afrika. Als Erstautor hat er zahlreiche Vogelgattungen, -arten und –unterarten wissenschaftlich beschrieben. Foto: Archiv / Text von Wolfgang Gorsboth

Wittenberg (md). Die Lutherstadt Wittenberg hat sich die Aufgabe gestellt, die Herkunft der in ihrem Besitz befindlichen natur- und völkerkundlichen Sammlungen von Julius Riemer zu erforschen. Das 2011/2012 von Dr. Enrico Heitzer im Auftrag der Stadt erstellte Gutachten zeigte die Notwendigkeit einer Provenienzforschung auf. Den Auftrag für das Projekt „Provenienzforschung zur naturkundlichen und völkerkundlichen Sammlung von Julius Riemer, speziell zum Umfeld des Sammlers Oscar Neumann, in der Zeit von 1933 bis 1945“ erhielt im Sommer 2020 die Firma „Facts & Files Historisches Forschungsinstitut Berlin“. Das Projekt wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert. Seit Ende April 2022 liegt der Lutherstadt Wittenberg die finale Fassung des Abschlussberichtes zum oben genannten Forschungsprojekt vor.

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Der Berliner Fabrikant Julius Riemer (1880-1958) baute nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe seiner Ehefrau, des Rates der Stadt und Otto Kleinschmidt, dem Leiter des Kirchlichen Forschungsheims in Wittenberg, das Museum für Naturkunde und Völkerkunde auf und nutzte dafür Bestände seiner privaten natur- und völkerkundlichen Sammlung. Ein Großteil dieser Sammlung hatte Julius Riemer in der Zeit zwischen 1938 und 1944 erworben. Zur Sammlung Riemer gehört auch die Teilsammlung des Berliner Zoologen Oscar Rudolph Neumann (1867-1946), der ab 1933 als Jude verfolgt wurde und im Oktober 1941 aus Berlin über Kuba nach Chicago fliehen musste.

Die Provenienz dieser Teilsammlung wurde im benannten Forschungsprojekt untersucht, um damit einen möglicherweise verfolgungsbedingten Vermögensentzug ausschließen oder auch nachweisen zu können. Dazu wurden die Akten aus dem Hausarchiv Riemer, Akten aus dem Bundesarchiv, die Entziehungs-, Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten der Familie von Oscar Neumann sowie Akten des Museums für Naturkunde Berlin, der Harvard University, des Harvard Zoological Museums, des Natural History Museums London und des Field Museums in Chicago ausgewertet.

Forschungsergebnisse

Oscar Neumann und seine Familie wurden ab 1933 in Deutschland als Juden diskriminiert und verfolgt. Die Übergabe bzw. der Verkauf der verschiedenen Konvolute und der Bibliothek kurz vor seiner Flucht 1941 an Julius Riemer sind nach der Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 in ihrer Neufassung von 2019 aufgrund ihres Zeitpunkts und der Verfolgung als verfolgungsbedingter Vermögensverlust zu bewerten.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde ein Teil der Sammlungen Julius Riemers in Berlin durch Bombenangriffe zerstört. Zum Aufbau des Museums brachte dieser 1948 von dem verbliebenen Bestand sehr viele Objekte nach Wittenberg. In den folgenden Jahren wurden einige davon an andere Museen gegeben. Von den heute noch in Wittenberg vermuteten Objekten wurden 24 Gegenstände durch Julius Riemer nachweislich nach 1940 von Oscar Neumann erworben. Insgesamt 1.514 Objekte, die sich laut Inventarbüchern und den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Forschungsinstituts Facts & Files in Wittenberg befinden, wurden von Johann J. Menden im Auftrag Oscar Neumanns gesammelt und sollten von Julius Riemer lediglich aufbewahrt werden.

Nach den derzeit zur Verfügung stehenden und verifizierbaren Quellen hatte Oscar Neumann bis zu seinem Tod am 17. Mai 1946 keinen Kontakt mehr mit Julius Riemer. Mit Johann J. Menden, von dessen Vereinbarungen mit Oscar Neumann Julius Riemer wusste, bestand auch kein nachweisbarer Kontakt.

Auf Grundlage des 2022 fertig gestellten Abschlussberichtes und der darin präsentierten Forschungsergebnisse ergeben sich verschiedene Fragen zum weiteren Vorgehen. Dazu zählen bspw. die Kontaktaufnahme zu möglichen Erben von Oscar Neumann und Johann J. Menden sowie die Sichtung aller in den Städtischen Sammlungen Wittenberg befindlichen Objekte aus der Sammlung Julius Riemer. Dafür braucht es jedoch ein ideales Museumsdepot, in dem alle Sammlungsstücke Platz finden, ausgepackt und fachmännisch gesichtet werden können. Diese und weitere Fragen und Handlungsempfehlungen sollen demnächst in der Verwaltung und mit dem Stadtrat der Lutherstadt Wittenberg abgestimmt werden.

Von Redaktion