Samstag, 27.07.2024

„Tat(w)ort 1522“: Luthers „Septembertestament“ ist verschwunden, Besucher müssen einen Kriminalfall lösen

Wittenberg wg). Martin Luther übersetzte in der Schutzhaft auf der Wartburg 1521/22 in nur elf Wochen das Neue Testament aus dem griechischen Grundtext in die deutsche Sprache. Die erste Ausgabe wurde im September 1522 in Wittenberg gedruckt und erschien ohne Verfassername, daher ist sie unter der Bezeichnung „Septembertestament“ bekannt. Nach nur drei Monaten war diese Erstauflage von 3.000 Exemplaren vergriffen.

Aus Anlass des 500. Jubiläums hat die Stiftung ein Format entwickelt, welches in der Museumslandschaft bislang außergewöhnlich ist: Die Besucher betreten Escape Rooms, dort tauchen sie ein in die Welt der Reformationszeit und müssen gemeinsam spannende Rätsel mit guter Beobachtungsgabe lösen, erst dann lassen sich die fünf Schlösser öffnen. Im Unterschied zu normalen Escape Games erfüllt die Escape Ausstellung „Tat(w)ort 1522“ einen Bildungsauftrag: Kreativität, Entdecken und Wissensvermittlung stehen im Vordergrund, wobei der Spaß keineswegs zu kurz kommt.

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„Wir wollten zuerst eine klassische Ausstellung zum Thema machen“, berichtet Astrid Mühlmann. Die Verwaltungsdirektorin der Stiftung hat auch eine kreative Ader und die Escape Ausstellung gemeinsam mit Katja Köhler als verantwortlicher Projektleiterin entwickelt. „Eine klassische Ausstellung zur Bibelübersetzung macht die Wartburg, wobei Erwachsene die Hauptzielgruppe darstellen, wir wollten aber speziell Kinder und Jugendliche ansprechen.“

Mit interaktiven Ausstellungen habe die Stiftung bereits gute Erfahrungen gemacht (siehe „Tölpel“, Luthers Hund), aber auch diese seien aufgrund der Labor-Situation zu nahe dran am Schulunterricht. „Nach zwei Jahren Corona und den Lockdowns, die vor allem Kindern und Jugendlichen enorm viel abverlangt haben, wollten wir Wissen spielerisch und mit Leichtigkeit vermitteln“, erklärt Katja Köhler, Leiterin der Abteilung Kulturelle Bildung, wie die Escape Idee entstanden ist: „Wir wagen damit ein Experiment mit neuen Vermittlungsideen und ohne Blaupause.“

In kleinen Teams haben die Stiftungs-Mitarbeiter Rätsel für die Escape Rooms entwickelt, Dramaturg Andreas Hilger hat die Story entwickelt, fünf Räume im Augusteum sind die Kapitel dieser Story, und darin eingebettet sind die Rätsel. Start ist in der „Bibliothek“, dort ist Luthers „Septembertestament“ verschwunden. In welchem Prozess – von der Übersetzung über die Illustration in der Cranach-Werkstatt bis zum Druck – ist das Werk verloren gegangen? Wer war der Täter und kann das Werk gerettet werden?

In der „Bibliothek“ werden die Teilnehmer in die Escape Ausstellung eingeführt und es werden nach dem Zufallsprinzip Gruppen gebildet. Nächste Station ist die Küche, hier berichtet Luthers Köchin über die Verwendung von Kräutern und damaligen Lebensmitteln. Der zweite Raum ist eine Übersetzerwerkstatt, dort erwartet die Teilnehmer Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon. Die weiteren Räume: Eine Wittenberger Druckerwerkstatt, hier wird in haptischer Weise demonstriert, wie ein Buch mit beweglichen Lettern produziert wird. In einem Raum am kurfürstlichen Hof zeigt eine Galerie mit Porträts Persönlichkeiten, die für Friedrich dem Weisen eine wichtige politische Rolle gespielt haben. In der Cranach-Werkstatt treffen die Teilnehmer auf Barbara Cranach, hier dreht sich alles um die Bedeutung der Illustration von Büchern.

„In allen fünf Räumen lernen die Besucher jeweils einen wichtigen Aspekt der Bibelübersetzung kennen“, erläutert Mühlmann. „Luther und die Reformatoren wollten die Bibel so übersetzen, dass sie jedermann lesen und verstehen konnte.“ So kommen im Neuen Testament Tiere und Pflanzen vor, die es in Deutschland nicht gab, für sie musste adäquate Ersatz gefunden werden, ein bekanntes Beispiel ist der Klippschliefer, den Luther mit Kaninchen übersetzte. Luther wollte, dass die Bibel zu einem Buch für alle wird – auch für das „einfache“ Volk, das in der Escape Ausstellung von der Köchin repräsentiert wird.

Jede Gruppen durchläuft in der Regel ein bis zwei Räume, am Ende sind alle wieder vereint, die beim Lösen der Rätsel recherchierten Indizien werden wie in einem echten Kriminalfall auf einer großen Wand zusammengetragen und ausgewertet. „Am Ende ergibt sich, wer der Täter ist und die Schüler lernen, dass bestimmte Aufgaben nur gemeinsam gelöst werden können“, so Köhler. „Nach der Lösung des Kriminalfalls zeigen wir in einem weiteren Raum in Zusammenarbeit mit WortWerk Wittenberg e.V. die Auswirkungen der Bibelübersetzung auf gesellschaftliche Bereiche und die Entwicklung der deutschen Sprache.“ In einem großen, begehbaren Buch können Kuriositäten zum Thema Bibel entdecken werden und Hörstationen demonstrieren, wie sich mit Musik Glauben vermitteln lässt

Gemeinsam mit der Kunstklasse des Luther-Melanchthon-Gymnasiums wurden sogenannte Instagram-Fotoboxen entwickelt, nur dort können sich die Gruppen fotografieren und Selfies verschicken, denn: Vor Beginn des Spiels müssen alle Handys abgegeben werden, niemand soll die Rätsel per Google lösen.

Hinweis

Die Escape Ausstellung „Tat(w)ort 1522“ ist ab Klasse 7 bzw. ab 12 Jahren geeignet, die ideale Gruppengröße umfasst fünf bis sechs Teilnehmer. Hauptzielgruppen sind Schulklassen, Konfirmandengruppen und Familien, aber auch für Freundeskreise, Paare und Firmenfeiern ist sie geeignet. Interessierte werden gebeten, sich bei der Kulturellen Bildung Wittenberg anzumelden und ein Zeitfenster zu buchen, Tel.: 03491/420 31 16. Das neue Angebot steht bis zum 9. Juli 2023 im Augusteum bereit.

BU: Astrid Mühlmann(l.), Verwaltungsdirektorin der Stiftung Luthergedenkstätten und Katja Köhler, Leiterin der Abteilung Kulturelle Bildung, haben die Escape Ausstellung „Tat(w)ort 1522“ konzipiert.

Fotos: Wolfgang Gorsboth

Von Redaktion