Oberbürgermeister Torsten Zugehör skizziert Ziele und Herausforderungen der nächsten sieben Jahre
Wittenberg (wg). Die Landesgartenschau in 2027 und das „Zukunftszentrum Deutsche Einheit“ benennt Wittenbergs im April mit großer Mehrheit wiedergewählter Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) als Schwerpunkte seiner zweiten, siebenjährigen Legislatur. „Dass unsere Stadt den Zuschlag zur Austragung der sechsten Landesgartenschau erhalten hat, erfüllt uns mit großer Freude“, betont das Stadtoberhaupt im Gespräch mit dem Magazin „Mittendrin Wittenberg“, nun gelte es, auch die Zweifler für ein Projekt zu gewinnen, welches ähnlich wie die IBA 2000, das Cranachjubiläum 2015 und das Reformationsjubiläum 2017 der Stadt neue, wichtige Impulse verleihen werde.
Die während des gesamten Bewerbungsverfahrens praktizierte Bürgerpartizipation werde man fortsetzen, weil sie sich bewährt habe. „Stadt an der Elbe“ lautet das Motto für die Laga: „Wie sehr unsere Bürgerinnen und Bürger die Elbe erleben wollen, hatte zuletzt das Hafenpromenadenfest noch einmal eindrücklich gezeigt“, so Zugehör. Die Laga sei wichtig für die Identität der Stadt und sie werde Touristen nach Wittenberg locken.
„Es wird eine Festbetragsförderung des Landes für die Laga geben, die Stadt selbst wird einen erheblichen Eigenanteil schultern müssen, den wir zu großen Teilen und wie bei solchen Projekten üblich über weitere Fördermitteltöpfe finanzieren werden“, erläutert Zugehör. „Aber wir sehen auch die dramatische Entwicklung in der Bauwirtschaft, wo die Preise durch die Decke schießen und wir sehen auch die finanzielle Situation unserer Stadt.“ Das bedeute, nicht alles, was auf der Wunschliste stehe, könne auch realisiert werden, deshalb müsse man gemeinsam mit Stadtrat und Bürgerschaft analysieren, was machbar sei und was nicht. „Eine Laga, die vielleicht kleiner, dafür umso feiner ausfällt, schmälert das Vorhaben als Ganzes nicht“, betont der OB.
Zukunftszentrum „Deutsche Einheit“
Die Kommission „Deutsche Einheit“ unter Vorsitz des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck hatte in 2020 vorgeschlagen, eine Institution mit dem Titel „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ zu gründen. Damit sollen die – nicht nur positiven – Erfahrungen der Ostdeutschen mit Umbruch und Wandel mehr als 30 Jahre nach der Wende endlich ihre angemessene Würdigung erfahren, gleichzeitig auch die Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa in den Fokus genommen werden.
Bis 2028 soll dieses Zentrum einen Standort in einer ostdeutschen Stadt finden, damit verbunden sind Investitionen in Höhe von circa 200 Millionen Euro. „Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, hat Anfang Mai die Eckpunkte des geplanten Zentrums ins Bundeskabinett eingebracht, was uns fehlt, sind die konkreten Ausschreibungsunterlagen“, berichtet OB Zugehör. Die Stadt Wittenberg wolle sich bewerben, denn sie habe vielfältige Erfahrungen mit Transformationsprozessen und sie habe Strukturentwicklungsbedarf bei der Angleichung der Lebensverhältnisse Ost-West und Stadt-Land.
Eine Standortentscheidung soll in der zweiten Jahreshälfte durch eine Jury getroffen werden, die Stadt Wittenberg will sich beteiligen: „Wir wollen in dieses Verfahren gemeinsam mit der Stadt Halle eintreten, wir sind durch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg miteinander verbunden. Bislang war Wittenberg eher das schmückende Lametta, mit Blick auf die gemeinsame Geschichte und die in Wittenberg ansässige und von der MLU bespielte Stiftung Leucorea muss mehr passieren.“ Für Wittenberg/Halle als Standort des „Zukunftszentrums“ sprächen die zentrale Lage, die guten ICE-Anbindungen und der Flughafen Leipzig/Halle.
OZG-Umsetzung bereitet Probleme
Bereits in 2017 verpflichtete das Onlinezugangsgesetz (OZG) den Bund, die Länder und die Kommunen, bis Ende des Jahres 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten, für 115 Leistungen soll der Bund, für 460 Leistungen sollen Länder und Kommunen in der Verantwortung stehen. Auf allen drei Ebenen klemmt der Zeitplan zur Umsetzung des föderalen Großprojektes gewaltig, auch in der Stadtverwaltung Wittenberg: „Nicht fehlender Wille ist der Grund, sondern uns fehlen die qualifizierten Mitarbeiter!“
Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung angezogen – und damit der Run auf entsprechend qualifizierte Fachkräfte. Die Stadt Wittenberg sei zwar ein attraktiver Arbeitgeber, aber Arbeitsplatzsicherheit, tarifliche Leistungen und zusätzliche Angebote reichten bei weitem nicht mehr aus, weil die Wirtschaft aufgrund des leergefegten Arbeitsmarktes mit deutlich besseren Angeboten aufwarten könne. „Dass der öffentliche Dienst kaum noch qualifizierte Mitarbeitende findet, ist eine große Herausforderung, der sich die Tarifpartner stellen müssen“, sagt Zugehör.
Steigende Energiepreise sowie die Gefahr eines Öl- und Gasembargos beschäftigen auch die Stadtverwaltung, nicht nur, weil die hohen Energiepreise die Kommune mit Blick auf Kitas, Grundschulen und Verwaltungsgebäude unter Druck setzen. „Wir haben mit Vertretern wichtiger Unternehmen und Einrichtungen wie die Stadtwerke, das Paul-Gerhardt-Stift und die Leitung des Polizeireviers Wittenberg diskutiert, was passiert, wenn wir kein Öl oder Gas mehr haben“, so Zugehör. „Was die Zukunft betrifft, segeln wir seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Nebel, umso wichtiger ist es, im Vorfeld die Akteure an einen Tisch zu holen und Risiken so weit wie möglich zu minimieren.“
Mehr kommunale Selbstverwaltung
Für die Zukunft wünscht sich der OB mehr kommunale Selbstverwaltung, mehr Offenheit und Vertrauen sowie eine auskömmliche finanzielle Ausstattung, wenn Aufgaben auf Städte und Gemeinden übertragen werden. Gerade auf lokaler Ebene müssten die Prinzipien der Demokratie gestärkt werden, denn es könne nicht sein, dass bei jeder Entscheidung hinterfragt werden müsse: „Dürfen wir das, was sagt die Kommunalaufsicht? So stößt die kommunale Selbstverwaltung immer mehr an ihre Grenzen auf einer Ebene, in der Demokratie direkt erfahren und gelebt wird.“
Denn die Landeshauptstadt Magdeburg sei für den Bürger weit weg, die Bundeshauptstadt Berlin noch viel weiter. Für die Entscheidungen, die im Rathaus beschlossen würden und die unmittelbare Auswirkungen für die Bürger hätten, würden die gewählten Stadträte sowie Bürgermeister und Oberbürgermeister als Verwaltungsspitze verantwortlich gemacht: „Das ist zum Teil mit Beschimpfungen und Androhung von Gewalt verbunden, auch gegen die Familien von Kommunalpolitikern, aber wir haben keine Bodyguards.“ In der Konsequenz seien immer weniger Bürger bereit, sich in der Kommunalpolitik mit einem Mandat zu engagieren.
„Die Gemeinde“, betont der OB, „ist eben nicht ein zufällig gewählter Ort von Wohnen und Arbeiten, vielmehr im besten Wortsinn ein Gemeinwesen und Lebensmittelpunkt, mit dem sich die Bürger identifizieren und den sie selbständig gestalten wollen.“
BU: Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) blickt auf die nächsten sieben Jahre seiner Amtszeit.
Foto: Wolfgang Gorsboth