London (dts Nachrichtenagentur) – Der britische Premierminister Boris Johnson hält den Konflikt zwischen seiner Regierung und der EU, der sich vor Kurzem weiter verschärft hat, für überbewertet. Die heftige Kritik der Europäischen Union an seinem Umgang mit dem Nordirland-Protokoll bezeichnet er als „sehr moderat“.
Johnson sagte in einem Interview, das er der „Süddeutschen Zeitung“ gemeinsam mit drei anderen großen europäischen Zeitungen in seinem Amtssitz in Downing Street gab, nach seiner Wahrnehmung gebe es ein Interesse aller Beteiligten, „kreative und pragmatische“ Lösungen zu finden, und zwar mehr „als es manche Medienberichterstattung vermuten lässt“. In dem Gespräch ging Johnson ausführlich auf den Umgang seiner Regierung mit der EU sowie dem nach dem Brexit ausgehandelten Nordirland-Protokoll ein. Im Protokoll wurde geregelt, dass es keine Grenze zwischen Nordirland und Irland geben darf, weshalb der Warenfluss nun zwischen Großbritannien und Nordirland kontrolliert wird – also innerhalb des Vereinigten Königreichs. „Ich habe dieses Ding doch selber unterschrieben“, sagte Johnson, er wolle, dass es auch funktioniert.
Dennoch hat seine Regierung im Unterhaus einen Gesetzesentwurf eingebracht, der es ihr ermöglichen soll, weite Teile des Protokolls zu ignorieren. Die nordirische Partei DUP, die bei der Regionalwahl im Mai unterlegen war, blockiert derzeit eine Regierungsbildung in Nordirland, so lange das Protokoll noch in Kraft ist. Die EU hat als Reaktion auf das Vorgehen der britischen Regierung rechtliche Schritte eingeleitet. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maro efèoviè, warf dem Vereinigten Königreich den Bruch internationalen Rechts vor.
Johnson zeigte sich im Interview davon unbeeindruckt. Nach seinem Gefühl gebe es weiterhin eine große Einheit der westlichen Staaten, sagte der Premier. Er habe ein besonders gutes Verhältnis zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron und zum deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Er schätze efèoviè sehr.
Zur künftigen Rolle seines Landes in Europa sagte Johnson, man sei zwar vielleicht „kein fester Baustein mehr“, aber „wie der fliegende Pfeiler in der gotischen Architektur“. Fliegende Pfeiler seien „extravagant“ und „wunderschön“. Johnson, der auch vom schlechten Zustand der britischen Wirtschaft nichts wissen wollte, verteidigte zudem das Vorgehen seiner Regierung mit Flüchtlingen. Die Partnerschaft mit Ruanda, die es ermöglichen soll, illegal über den Ärmelkanal eingereiste Geflüchtete nach Ruanda abzuschieben, sei wichtig, sagte Johnson: Illegale Flüchtlinge schadeten denjenigen, „die legal kommen, sie drängeln sich in der Schlange vor“.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte untersagte den ersten Flug nach Ruanda in letzter Minute, während britische Gerichte das Vorgehen für zulässig befanden. Daher sei er „zuversichtlich“, dass bald einer der geplanten Flüge starten könne. Der Premier reiste am Mittwoch selbst nach Ruanda, zum Treffen der Commonwealth-Staaten. Am Samstag fliegt er von dort nach Deutschland, in Garmisch-Partenkirchen beginnt am Sonntag der G-7-Gipfel.
Dort wolle er sich dafür einsetzen, sagte Johnson, der Ukraine noch mehr zu helfen, Russland im Krieg zu besiegen: „Soweit die Ukrainer in der Lage sind, eine Gegenoffensive zu starten, sollte das unterstützt werden.“
Bild: Boris Johnson / Foto: über dts Nachrichtenagentur