Wittenberg (md/wg). „Wir hätten ihn als Lehrling damals so nicht genommen“, sagt René Gnauck, Inhaber und Geschäftsführer der Elektrofachhandel & Einbauküchen Gnauck GmbH, die heute ihr 35. Jubiläum feiert. Als sich Justin Dömel vor fast zwei Jahren in der Firma bewarb, kam der Hauptschüler völlig unvorbereitet zum Vorstellungsgespräch: „Er sagte nichts, die kommunikativen Fähigkeiten – typisch für die Smartphone-Generation – tendierten schlicht gegen Null. In unserer Branche brauchen wir aber Mitarbeiter, die mit den Kunden reden können.“ Die Zeugnisnoten waren damals nicht ausschlaggebend: „Auf Noten legen wir keinen Wert, denn sie spiegeln bei jungen männlichen Erwachsenen nur den Stand einer spätpubertären Phase wider.“
Für Gnauck zählt aber das, was junge Leute können, wo ihre Talente und Fähigkeiten sind und das hängt nur wenig von Schulnoten ab. Und deshalb gab es für Justin, der seit seinem 12. Lebensjahr im Kinder und Jugendheim Pretzsch der Salus gGmbH lebt, eine zweite Chance: die Einstiegsqualifizierung (EQ), ein betriebliches Langzeitprogramm der Agentur für Arbeit von vier bis maximal 12 Monaten, welches im Übernahmefall auf die Gesamtdauer der Ausbildung angerechnet wird. Der heute 18-Jährige hat die EQ erfolgreich absolviert und wird in zwei Jahren seinen Abschluss machen. „Justin hat sich schnell bei uns angepasst, er fühlt sich bei uns wohl und will es sich und anderen beweisen, dass er es kann“, betont Gnauck. „Wir arbeiten gern mit ihm zusammen und wenn er möchte, werden wir ihn übernehmen.“
Azubis verzweifelt gesucht! Angesichts der großen Schwierigkeiten, ihren Fachkräftenachwuchs zu sichern, wächst in den Unternehmen das Interesse an Instrumenten der betrieblichen Berufsvorbereitung. Ein möglicher Ausweg: Auch schwächeren oder benachteiligten Jugendlichen ein Angebot machen. Eine EQ kann dabei helfen. Der Einstieg in eine Ausbildung wird durch viele Förderprogramme und berufsvorbereitende Maßnahmen unterstützt. Dazu zählt auch die sogenannte Einstiegsqualifizierung. Das Ziel von diesem Angebot ist, noch nicht ausbildungsreife Jugendliche oder junge Erwachsene, an die Aufnahme einer Lehre im Betrieb heranzuführen.
Die Maßnahmen dienen zur Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit. Sie werden sozialpädagogisch begleitet. Mit einer Einstiegsqualifizierung bekommen die jungen Leute eine Chance, den Lehrberuf, die betrieblichen Abläufe und die Regeln für das Berufsleben allgemein kennenzulernen. Außerdem können sie ihr Geschick unter Beweis stellen. Der Arbeitgeber lernt in dieser Zeit die Betroffenen näher kennen, das ist besser als jeder Einstellungstest. Wenn die Zeit vorbei ist, können sie nahtlos in ein Lehrverhältnis einmünden.
Die EQ ist ein vergütetes Langzeitpraktikum mit einer Dauer von bis zu maximal 12 Monaten. Es handelt sich um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Die Agentur für Arbeit bzw. das Jobcenter zahlen eine Vergütung von 262 Euro monatlich und übernehmen für den Arbeitgeber eine Pauschale für die Sozialversicherung. Die Übergangsquote in eine betriebliche Berufsausbildung ist mit mehr als 60 Prozent besonders hoch.
Bild: Isabelle Ziegler, operative Geschäftsführerin der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen, René Gnauck, Justin Dömel und Markus Behrens, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion der Agentur für Arbeit. Foto: W. Gorsboth