Mittwoch, 11.12.2024
Bild: Dr. Irmgard Schwaetzer führt durch die Ausstellung "Von christlicher Judenfeindschaft". Foto: Wolfgang Gorsboth

Wittenberg (wg). Der Antisemitismus wurzelt im christlichen Antijudaismus und dieser ist so alt wie das Christentum selbst. Die am Donnerstag, dem 1. August 2024, in der Stadtkirche eröffnete Ausstellung „Von christlicher Judenfeindlichkeit“ informiert an Hand historischer Quellen und Bilder über den Ursprung antijüdischer Verschwörungstheorien, zeigt deren bis in die Gegenwart reichenden Kontinuitäten auf und entlarvt diese als absurde Lügen. Damit leistet die Ausstellung vor dem erschreckenden Hintergrund zunehmender antisemitischer Vorfälle und Straftaten in Deutschland einen ebenso wichtigen wie dringend notwendigen Beitrag zur Aufklärung und Antisemitismusprävention, denn christlicher Judenhass und politischer Antisemitismus haben viele Gemeinsamkeiten.

Für den christlichen Antijudaismus seien vor allem zwei Aspekte von Bedeutung, wie Dr. Irmgard Schwaetzer, Staats- und Bundesministerin a.D, ehemalige Präses der EKD-Synode und Stiftsfrau im evangelischen Kloster Stift zum Heiligengrabe, beim Pressegespräch erläuterte. Erstens: Die Juden hätten Jesus, den Religionsstifter des Christentums, getötet. Jesus und seine Apostel waren aber selbst Juden, er wurde von einem Römer zum Tode verurteilt und von römischen Soldaten in der römischen Provinz Judäa gekreuzigt. Zweitens: Nicht die Juden, sondern Christen sind das auserwählte Volk Gottes. In diesem Zusammenhang hat sich die fatale Formulierung „Volk Gottes im neuen Bund“ verbreitet, ohne Bewusstsein für die Konsequenzen.

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Schon im Mittelalter war die Lüge weitverbreitet, Juden würden für das Backen ihres Pessach-Brotes das Blut von entführten und ermordeten Christenkindern verwenden. Dieser Verschwörungsmythos wirkt bis heute und findet sich wieder, wenn pro-palästinensische Demonstranten Hassparolen wie „Kindermörder Israel“ grölen. Außer Ritualmord waren auch Hostienschändung, Brunnenvergiftung und Wucher gängige antisemitische Motive. Die Ausstellung macht deutlich, wie diese Verschwörungstheorien zu Diskriminierung, Vertreibung und Mord von Jüdinnen und Juden geführt haben und wie sie der Kirche bei der Geldbeschaffung durch neue Wallfahrtsorte und Märtyrerreliquien dienten.

Die Geschichte lehrt, dass sich viele Verschwörungstheorien antisemitischen Gedankenguts bedienen: Zu Zeiten der Pest wurde der jüdischen Bevölkerung unterstellt, das Wasser in den Brunnen vergiftet zu haben. Nach der Spanischen Grippe 1918/1920 wurde die Theorie der jüdischen Weltverschwörung populär. Unter dem Einfluss der Corona-Pandemie wird Juden unterstellt, dass sie das Virus absichtlich in die Welt gesetzt hätten. Oder dass es das Virus gar nicht gebe und die Pandemie eine von einflussreichen jüdischen Kreisen/Eliten orchestrierte Krise sei mit dem Ziel, mittels Impfungen Menschen zu sterilisieren oder gar umzubringen.

Als religiöse Minderheit eigneten sich Jüdinnen und Juden hervorragend als Sündenböcke. Im Mittelalter war ihnen der Zugang zu Zünften und Landbesitz verboten, sie wurden abgedrängt in Berufsfelder wie Handel und Finanzwirtschaft. Dies machte sie insbesondere in Krisenzeiten, wenn die christlichen Herrscher versagten, zur Zielscheibe des Volkszorns.

Große Teile der Ausstellung waren im Rahmen des Jubiläumsprojektes „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ als digitale Ergänzung einer frühneuzeitlichen Darstellung einer Hostienschändungslegende im Museum des evangelischen Kloster Stifts zum Heiligengrabe entstanden. Die Legende war eine Erfindung des frühen 16. Jahrhunderts und hatte mit der im 13. Jahrhundert erfolgten Klostergründung nichts zu tun. Vielmehr wurden mit der Legende wirtschaftliche Zwecke verfolgt: Das bis dato eher unbedeutende Kloster sollte zu einem frequentierten Wallfahrtsort aufgewertet werden und dazu bediente man sich eines gängigen antijüdischen Stereotyps.

Über die Wanderausstellung

Konzipiert wurde die 29 Tafeln umfassende Ausstellung, die nach Berlin und Görlitz jetzt auch in Wittenberg zu sehen ist, von der Expertengruppe unter der Leitung von Pfarrerin Marion Gardei, Beauftragte der Evangelisch Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus, unter Mitwirkung von Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama, Rabbinischer Leiter am Abraham Geiger Kolleg der Universität Potsdam und Dr. Irmgard Schwaetzer. Kuratiert wurde die Ausstellung von dem Historiker Bodo Baumunk, die Förderung erfolgte über den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, vom Bundesministerium des Inneren.

Die Ausstellung ist in der Stadtkirche bis zum 31. August 2024 zu den Öffnungszeiten zu besuchen: Montag bis Samstag von 11 bis 17 Uhr, Sonntag von 12.30 bis 17 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Von Redaktion