Wittenberg (wg). Circa 175.000 Menschen leben im Land Sachsen-Anhalt mit einer Beeinträchtigung, rund 11.000 finden eine Arbeit in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). „Nur wenige wissen, welche Arbeit dort geleistet wird und noch immer dringt zu wenig über die Arbeit von und in Werkstätten für Menschen mit Behinderung bis zur breiten Öffentlichkeit vor“, erklärt Andreas Twardy, Referent der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Sachsen-Anhalt e.V. (LAG WfbM).
Über die Leistungen sowie den Alltag der in den Werkstätten Beschäftigten informiert eine interaktive Wanderausstellung mit dem Titel „Mit vielen Augen sehen, Einblicke in ein Leben mit Behinderung“, die seit Montag, dem 23. September, im Foyer der Kreisverwaltung zu sehen ist. Entwickelt hat die Ausstellung die LAG WfbM, in der 33 Einrichtungen mit mehr als 11.500 Beschäftigten organisiert sind. Sie ist Teil einer Image-Kampagne, mit der die LAG die Öffentlichkeit sachgerecht über die Leistungen der Werkstätten informieren möchte.
„Wir wollen mit dieser Ausstellung zeigen, wie wertvoll die Arbeit ist, die in den Werkstätten geleistet wird“, betont Martin Schreiber, Vorsitzender der LAG, „und deshalb stehen die Protagonisten der Werkstätten im Fokus.“ Landrat Christian Tylsch ergänzt: „Diese Werkstätten sind unendlich wichtig, der Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft sagt viel über die Leistungsfähigkeit eines Staates aus.“ Mit der WfbM und den Inklusionsbetrieben des örtlichen Augustinuswerks verfüge der Landkreis über einen starken und anerkannten Träger. Menschen mit Behinderungen trügen zur Vielfalt in der Gesellschaft bei, jeder Mensch sei in seiner Einzigartigkeit wertvoll und verdiene dafür Anerkennung und Respekt.
Die Wanderausstellung porträtiert 22 Werkstattbeschäftigte, Angehörige, Unternehmer sowie Menschen aus dem sozialen Umfeld der Werkstätten in ganz Sachsen-Anhalt mit ihren ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen, Träumen und Visionen zur Zukunft. 22 authentische Geschichten, die zum Nachdenken anregen und Zuversicht und Stärke ausstrahlen. So wie die Geschichte von Paul Appel, der zur Ausstellungseröffnung anwesend war. Der junge Mann arbeitet in einer Werkstatt der Diakoniegesellschaft Wohnen und Arbeiten mbH (DGWA) am Standort Dessau-Waldersee und zieht Speichen in Fahrräder ein. „Das macht er sehr gut“, sagt Sebastian Bischoff vom Sozialdienst der DGWA. Auch beim Zählen von Angelködern macht er keine Fehler, ebenso beim Sortieren oder Einpacken.
Seit dem Ende seiner Schulzeit arbeitet Appel in der Werkstatt der DGWA. Er lebt nicht nur seinen Job, sondern er lebt Werkstatt: Morgens ist er der Erste, der am Platz sitzt. Nachmittags steigt er als Letzter in den Bus vom Fahrdienst ein, der ihn zu seinen Eltern im Stadtteil Kochstedt fährt. „Ich wäre gern Kranführer geworden oder im Lkw durch die Nacht gefahren“, sprudelt es aus ihm heraus, „weil ich das bestimmt könnte. Ich wüsste schon, wie man so ein Teil steuert, es steht ja alles in der Bedienungsanleitung. Doch meine Arbeit in der Werkstatt ist auch klasse.“ Appel ist ein junger Mann mit kognitiven Einschränkungen, das hindert ihn aber nicht daran, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Werkstätten für behinderte Menschen folgen dem Grundsatz „von den Schwächsten her denken“. Die Kompetenz und das Alleinstellungsmerkmal von Werkstätten im Gegensatz zu anderen Eingliederungsmaßnahmen bestehen darin, dass sie für jeden – auch für die Schwächsten – ein adäquates Angebot schaffen. Werkstätten gehen die Verpflichtung ein, jedem Menschen, der das möchte, einen Arbeits- und Betätigungsplatz zu bieten. Werkstätten gestalten Arbeit flexibel und individuell auf die Person abgestimmt. Auch mit Blick in die Zukunft ist es eine zentrale Aufgabe von Werkstattträgern, den zugrunde liegenden Versorgungsauftrag zu gewährleisten und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen abzusichern.
Hinweis
Die Ausstellung „Mit vielen Augen sehen“ wird noch bis zum 10. Oktober 2024 im Foyer des der Kreisverwaltung gezeigt. Anschließend ist sie vom 14. Oktober bis zum 15. November im Rathaus Jessen und ab dem 13. Dezember im Foyer des Paul-Gerhardt-Stiftes zu sehen. Die Schau zeigt auf Roll-ups fotografische Porträts von Menschen und macht deren Geschichte in Texten zugänglich, die ausführlich über QR-Codes im Internet erschlossen werden können. Interessierte Kommunen, Institutionen, Einrichtungen und Vereine, die diese Wanderausstellung zeigen wollen, können sich per Mail an: kontakt@lag-wfbm-sachsen-anhalt.de oder Tel.: 0345/782 389 03 wenden.