Wittenberg (wg). Mit einer hochkarätig besetzten Festveranstaltung beging die Stiftung Leucorea am Mittwoch im Audimax ihr 30-jähriges Bestehen, sie wurde 1994 als Stiftung des öffentlichen Rechts an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegründet. Im Zuge der napoleonischen Kriege wurde die Wittenberger Universität geschlossen und 1817 mit der halleschen Fridericiana zur Vereinigten Friedrichs-Universität am Standort Halle zusammengeführt, seit 1933 trägt sie den Namen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
„Der Stiftungszweck besteht in der Unterstützung von Forschung und Lehre an der MLU und in den universitären Einrichtungen in Wittenberg“ erklärte Prof. Dr. Jörg Dierken, der Theologe ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Leucorea. „Wittenberg war und ist ein Ort akademischer Bildung, die Leucorea lebt im Doppelnamen der Universität weiter.“
Nach der Friedlichen Revolution habe es Überlegungen gegeben, die Wittenberger Universität wiederzugründen, dies sei aber nicht realisierbar gewesen, ebenso wenig die Idee, Teile der halleschen Universität samt Lehrbetrieb in Wittenberg zu etablieren. Die Gründung der Stiftung Leucorea sei ein Kompromiss gewesen. Mit dem Institut für Hochschulforschung und dem Institut für deutsche Sprache und Kultur gebe es zwei wissenschaftliche Einrichtungen, darüber hinaus regelmäßig Seminare, Tagungen und Kongresse. Ebenso gebe es eigene Projekte wie die Forschungsstelle Hebraistik und die Arbeitsstelle zur Septuaginta.
Das 30-jährige Bestehen der Stiftung Leucorea sei nicht nur Anlass für eine Zwischenbilanz und Standortbestimmung, sondern auch ein guter Grund, den Blick in die Zukunft zu richten. So sei ein Graduierten-Forum geplant und ein „Wittenberg Center for Advanced Studies at Leucorea“ in Gründung. In Kooperation mit der Stiftung Luthergedenkstätten soll bereits im kommenden Jahr eine Kinderuniversität anlaufen und für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe wolle man ein Propädeutikums-Angebot vorhalten.
„Die Leucorea wurde nie geschlossen“, betonte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff in seinem Grußwort, „sie ist nicht nur dem Namen nach fester Bestandteil der Martin-Luther-Universität, sondern auch im Rahmen der damals geschlossenen Verträge.“ Der MP erinnerte an seinen Amtsvorgänger Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, der sich unermüdlich für die Gründung der Stiftung engagiert habe.
Dem am Sonntag im Alter von 80 Jahren in Berlin verstorbenen Theologen und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer wurde mit einer Schweigeminute gedacht. Schorlemmer studierte an der Universität Halle und war wesentlich daran beteiligt, dass in Wittenberg das Format der akademischen Disputation zum Reformationstag begründet werden konnte. „Mit der Disputation wird ein Format der Streitkultur gepflegt, wie sie manchen öffentlichen Debatten gut tun würde“, erklärte Prof. Dr. Claudia Becker, Rektorin der MLU Halle-Wittenberg. Es gehe um den Austausch von Argumenten statt Anklagen, um Wertschätzung statt Abwertung und um Offenheit für die Position des Anderen. „Genau das braucht unsere Demokratie“, betonte die Rektorin und verwies auf Schorlemmer, der die Demokratie mit einem Garten verglichen habe: „Wird dieser nicht gepflegt, verwildert er ganz schnell.“
Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör erinnerte daran, dass sich die Stadt 2022 am Bewerbungsverfahren für das von der Bundesregierung ausgeschriebene „Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ beteiligt habe. Man habe sich letztlich entschieden, die Bewerbung der Stadt Halle zu unterstützen, die den Zuschlag erhielt. Das Konzept des Zukunftszentrums verlange die Anbindung an eine Universität: „Wenn wir dies ernst nehmen, dann kommt das Zukunftszentrum an Wittenberg und die Stiftung Leucorea nicht vorbei, an diesem Ort geht also noch viel mehr und die Zeichen dafür stehen gut.“
Die Leucorea könne zu einem Experimentierfeld für – nicht nur – universitäre Neuerungen profiliert werden. Denn angesichts der Geschwindigkeit des geopolitischen, technologischen und sozialen Wandels ergreife immer mehr Menschen ein Gefühl der Ohnmacht mit fatalen Folgen. „Unsere Gesellschaft ist tief gespalten, die Demokratie in Gefahr“, so Zugehör. „Vielleicht können in Wittenberg, der Stadt, von der einst die Reformation in die Welt ausging, Impulse gesetzt werden, Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden. Mit der Stiftung Leucorea, dem WZGE und der Evangelischen Akademie sind drei dafür prädestinierte Einrichtungen in Wittenberg verortet.“ Anschließend überreichte der OB der Stiftung die Ehrenurkunde der Stadt.
Den Festvortrag zum Thema „Zukunft braucht Herkunft? Was die Universität aus ihrer Geschichte lernen kann“ hielt Prof. Dr. Peter-André Alt, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Er legte den Fokus auf das Humboldtsche Bildungsideal. Mit ihren Erinnerungen und Wünschen trugen Prof. Dr. Gunnar Berg als ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Leucorea, Wittenbergs langjähriger Oberbürgermeister Eckhard Naumann sowie Matthias Erben, ehemaliger Leiter des Akademischen Orchesters, zur Festveranstaltung bei.