Pretzsch (md). „Leseland DDR – Geschichte der DDR im Spiegel ihrer Literatur“ ist der Titel einer Ausstellung, die am Samstag, dem 1. Juli, um 16 Uhr offiziell im Rahmen des Wandelkonzerts in der Evangelischen Stadtkirche St. Nikolaus Pretzsch eröffnet wird. Die Schau wird bis zum 31. August 2023 gezeigt und kann bei den Veranstaltungen der Kirchengemeinde wie Gottesdienste, Konzerte, Führungen und Lesungen sowie durch Anfrage unter 0160/36 56 414 besichtigt werden.
Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konzipierte Ausstellung lädt zu einer anschaulichen Zeitreise ein. Autor ist der Historiker und Publizist Stefan Wolle, wissenschaftlicher Direktor des Berliner DDR Museums und einer der besten Kenner der ostdeutschen Zeitgeschichte seit 1945. Auf 20 Tafeln präsentiert und problematisiert diese Schau anhand von Texten und Bildern ein Land, dessen Obrigkeit an die Macht des geschriebenen Wortes glaubte – und es zugleich fürchtete. Wo das Lesen und Schreiben mit großem Aufwand gefördert wurde, während politisch unerwünschte Literatur in Bibliotheken nur mit einem „Giftschein“ zugänglich war und Post und Reisende aus dem Westen nach Gedrucktem gefilzt wurden.
George Orwells „1984“ konnte nur lesen, wer einen „Giftschein“ besaß, denn das 1949 geschriebene Buch über einen futuristischen Überwachungsstaat galt der Parteiführung als „staatsfeindliche“ Schrift. Gelesen wurden Orwell und andere verbotene Autoren gleichwohl: Eingeschlagen in Umschlägen anderer Bücher wurden ihre Werke in die DDR geschmuggelt. Der „Giftschrankliteratur“ ist eines von 19 Kapiteln der Ausstellung gewidmet.
„Leseland DDR“ erzählt vom Eigensinn der Menschen, die sich ihre Lektüre nicht vorschreiben lassen wollten, die für rare Bücher Schlange standen und auf der Leipziger Buchmesse so manchen begehrten Titel westdeutscher Verlage heimlich in die Tasche steckten. Die Tafeln der Ausstellung führen aber auch in die Welt der Krimis, Märchen und Science-Fiction ein, sie berichten von der Literatur aus der Sowjetunion, den schreibenden Arbeitern des sozialistischen Realismus und sie lassen in alte Kochbücher blicken. „Wir kochen gut“ und „Wir backen gut“ waren die Standardwerke für zu Hause und wurden millionenfach verkauft. Noch heute stehen die Exemplare in vielen ostdeutschen Bücherregalen, die DDR ist aber verschwunden.
Die Schau wirft Schlaglichter auf die grenzüberschreitende Kraft, die die deutsch-deutschen Schriftstellerkontakte, das Radio und Fernsehen aber auch die Bücher entfalteten, die Weltreisen über die Mauern des Landes hinweg ermöglichten. Mit den Schriftstellern in der Friedlichen Revolution und der DDR als Thema in der Gegenwartsliteratur endet die Zeitreise.
„Leseland DDR“ ist ein Beitrag zur Kulturgeschichte der SED-Diktatur. Die Ausstellung ist zugleich eine Anregung für Jung und Alt, nach dem Besuch die alten Bücher aufzuschlagen, um die Geschichte des „Arbeiter- und Bauernstaats“ im Spiegel ihrer Literatur (neu) zu erkunden.
Bild: Der „Giftschrankliteratur“ ist in der Ausstellung „Leseland DDR“ ein eigenes Kapitel gewidmet. Foto: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur