Donnerstag, 16.10.2025

Wittenberg (md/wg). Am Montag, dem 25. August 2025, wird im Foyer der Kreisverwaltung Wittenberg die Wanderausstellung „Neuanfang in Sachsen-Anhalt nach Flucht und Vertreibung. 1940er/50er Jahre“ von Landrat Christian Tylsch eröffnet. Die 20 Roll-ups umfassende Exposition ist bis zum 24. September zu sehen, der Eintritt ist frei. Zur Eröffnung wird neben Dr. Christel Panzig vom Haus der AlltagsGeschichte in Wittenberg auch die Zeitzeugin Gisela Lukaczyk (Jahrgang 1937, gebürtig aus Breslau/Niederschlesien) anwesend sein und über ihre persönlichen Erfahrungen berichten.

Die in der Wanderausstellung enthaltenen, Mitte der 1990er Jahre dokumentierten Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, haben nichts von ihrer Aktualität verloren und bringen in die gegenwärtige Diskussion um Flucht, Vertreibung und Integration die Sicht ostdeutscher Vertriebener ein. Viele der damals interviewten Menschen sind inzwischen verstorben, weshalb diesen Berichten ein ganz besonderer Stellenwert zukommt.

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Flucht und Vertreibung waren 40 Jahre kein Thema in der DDR, obwohl Millionen Deutscher davon betroffen waren. Fast jede/jeder Dritte im heutigen Sachsen-Anhalt gehörte nach 1945 zu den so genannten „Umsiedlern“, den Flüchtlingen und Vertriebenen. Sie halfen aktiv mit, die Trümmer des Zweiten Weltkrieges zu beseitigen, über seine Folgen für ihr eigenes Leben aber durften sie bis zur Wende öffentlich nicht sprechen. Obwohl Frauen das Gros der Betroffenen ausmachten, wurde die Geschichte weiblicher Vertriebener erst recht ausgeblendet, vor allem die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Angehörige der Roten Armee waren tabu.

Über eine Million „Neubürger“ mussten im Land Sachsen-Anhalt neu anfangen. Sie kamen vor allem aus Schlesien und dem Sudetenland, sprachen zwar die gleiche Sprache, gehörten zum Teil der gleichen Religion an wie die Einheimischen, dennoch waren ihre Anfänge auf eine andere Art besonders schwer. Sie kamen in ein vom Krieg zerstörtes Land, fanden kaum Unterkunft, trafen auf Menschen, die hungerten wie sie selbst auch. Sie froren, hatten kaum etwas zum Anziehen, geschweige denn Möbel in ihren Behausungen.

Die Ausstellung gibt Auskunft darüber, wie sich die nicht ohne Konflikte ablaufende Integration der sogenannten „Neubürger“ in die Nachkriegsgesellschaft vollzogen hat. Nachvollziehbar wird dargestellt, wie die Flüchtlinge und Vertriebenen, vor allem Frauen und Kinder sowie Alte, in Städten und Dörfern Sachsen-Anhalts aufgenommen wurden und welche Erfahrungen sie bei ihrem Neuanfang in der Schule, auf der Arbeit und in ihrem sonstigen Lebensalltag machten.

Viele der interviewten Menschen haben nach Jahrzehnten des Schweigens erstmals über ihre Erfahrungen sprechen können. In den authentischen Berichten ist die damals erlittene Pein und empfundene Scham immer noch gegenwärtig. Die Interviews dokumentieren, welche enormen Kraftanstrengungen die Frauen während der Flucht aufbringen mussten. Über einen Flüchtlingstreck berichtet Maria L., Jahrgang 1928: „Es war eine grausige Völkerwanderung … Viel Ballast wurde an den Straßenrand weggeworfen, so auch erfrorene Babys und Kleinkinder.“ Der Tod war zum allgegenwärtigen Begleiter geworden, und Müttern blieb oft nichts anderes übrig, um die anderen Kinder nicht im Chaos zu verlieren, das Verstorbene im Schnee zurückzulassen.

Die gezeigten Dokumente, Fotos und persönliche Erfahrungsberichte erinnern an den schweren Anfang der Flüchtlinge und Vertriebenen und können zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und der Gegenwart anregen. Die Exposition, die bereits im Landtag von Sachsen-Anhalt gezeigt wurde, ist als Wanderausstellung konzipiert und wurde gefördert vom Kultusministerium und der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt. Sie besteht aus 20 Roll-ups in Vierfarbdruck und einem entsprechenden Ankündigungsplakat. Für die Ausleihe wird keine Gebühr erhoben. Foto: PFLUG e.V.

Von Redaktion