Sonntag, 07.12.2025

Wittenberg (wg). „Wir müssen gemeinsam Gesicht zeigen“, erklärt Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) zum Pogromgedenken am 9. November 2024. Es gehe nicht nur um das Gedenken von sechs Millionen ermordeten Juden, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer fielen, sondern auch darum, in der Gegenwart Stellung zu beziehen. Die Erinnerung an das Unrecht in der Vergangenheit sensibilisiert für das Unrecht in der Gegenwart, in der erneut Juden, Minderheiten, Religionsgruppen und Andersdenkende immer wieder ausgegrenzt und angefeindet werden.

In Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der Stadtkirchengemeinde, dem Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) inklusive der Regionalkoordination „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und weiterer Partner organisiert die Stadt Wittenberg das diesjährige Pogromgedenken. Zentraler Bestandteil ist der Gedenkrundgang am 9. November um 18 Uhr, der in diesem Jahr erstmals am Melanchthon-Haus des Wittenberger Gymnasiums in der Neustraße beginnt und am Mahnmal an der Stadtkirche endet. „Aufgrund der neuen Streckenführung ist es möglich, den Rundgang noch ein wenig zu erweitern“, berichtet Tobias Thiel, Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie.

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Gestaltet wird der Rundgang von sechs Oberstufenschülern des Wittenberger Gymnasiums mit Redebeiträgen, die an individuelle Schicksale erinnern. Dazu haben sich die Schüler intensiv mit historischen Quellen auseinandergesetzt. Um circa 19 Uhr wird der Rundgang am Mahnmal unterhalb der „Judensau“-Schmähplastik der Stadtkirche mit einem geistlichen Wort und gesanglichen Abschluss enden. „Wir haben diesen Ort bewusst ausgewählt“, betont Stadtkirchenpfarrer Matthias Keilholz, „denn als Christen tragen wir besondere Verantwortung für Juden und den Staat Israel.“ Dabei gehe es auch um die historische Last des christlichen Antijudaismus.

Zweiter Teil des Pogromgedenkens ist die „Stolperstein-Aktion“, die bereits am 8. November stattfindet. Schülerinnen und Schüler des Wittenberger Gymnasiums beginnen mittags mit dem Putzen der inzwischen an 16 Standorten verlegten 33 Stolpersteine. Im Jahr 2008 haben engagierte Wittenberger Bürger die Initiative „Stolpersteine“ gegründet, die ersten wurden im selben Jahr in der Schlossstraße 9 im Gedenken an Elisabeth und Simon Schwarz sowie am Markt 3 im Gedenken an Martin, Amalie und Jakob Israel verlegt. Bei den „Stolpersteinen“ handelt es sich um das gleichnamige Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig.

Durch das Putzen als aktiven Akt des Erinnerns sollen diese Steine wieder in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden. Oberbürgermeister Zugehör wird in der Breitscheidstraße 33 die Stolpersteine für Martin Wiener, dem die Flucht nach Palästina gelang und Berta Wiener, die im Ghetto Riga ermordet wurde, putzen. Richard Wiener, dem als Kind die Flucht über England in die USA gelang, wurde 2010 die Ehrenbürgerwürde der Lutherstadt Wittenberg verliehen, unter anderem auch für seine Verdienste um Versöhnung und Verständigung. Der OB ruft alle Bürger dazu auf, sich ab 14 Uhr an der Aktion zu beteiligen, dazu wird es auf dem Marktplatz eine öffentliche Übergabe und Einführung geben.

Hintergrund

Am 10. November feierte man – und das hat eine lange Tradition – den Geburtstag des Reformators Martin Luther. Das war am 10. November 1938 in Wittenberg nicht anders. Doch in der Nacht zuvor erlebte die Stadt wie so viele andere Städte im Deutschen Reich die brutale Gewalt gegen jüdische Bürger. Kristallnacht nannte sich beschönigend jenes Inferno der staatlichen – und privaten – Gier auf Geld, Eigentum und Leben der jüdischen Bürger – legalisierter Raub, dem später der legalisierte Massenmord folgte. Foto: Archiv

Von Redaktion