Samstag, 13.12.2025

OB Zugehör: Nur gemeinsam und im gegenseitigen Vertrauen lassen sich die Herausforderungen bewältigen

Wittenberg (md). Nach zweijähriger, coronabedingter Pause fand am Freitag, dem 13. Januar 2023, wieder der traditionelle Neujahrsempfang im Wittenberger Stadthaus statt. Es war keine gefällige Rede, mit der Oberbürgermeister Torsten Zugehör die Bürgerinnen und Bürger auf das neue Jahr 2023 einstimmte. Doch trotz aller Probleme, die er benannte, lieferte er gute Argumente für Optimismus: Voraussetzung sei, dass die Krisen und Umbrüche als Herausforderungen und Chancen begriffen würden, zu deren Bewältigung es des gesellschaftlichen Zusammenhalts bedürfe. Die in manchen Kreisen gepflegte Misstrauens- und Diffamierungskultur diene diesem Ziel nicht.

Werbung

In einem kurzen Rückblick ging der OB auf die Corona-Pandemie ein, „an deren Nebenwirkungen wir länger leider werden als an Corona selbst“. Die mit der Pandemie verbundene „kollektive Chance zu erkennen, dass Prävention keine Hysterie, Ignoranz kein Mut ist“ hätte viele Menschen ungenutzt gelassen. Das Horten von Nudeln und Klopapier sei das Resultat mangelnder Solidarität und fehlenden Vertrauens – und habe erst den Mangel ausgelöst. Der Ukraine-Krieg habe eine weitere, bis dato als unverrückbar geltende Gewissheit auf den Kopf gestellt, nämlich dass Frieden in Europa selbstverständlich sei.

Wie geht es in 2023 weiter, reicht der „Reformeifer“ der Bundesregierung aus? Mit Blick auf die vielen Ungewissheiten bezweifelt der OB dies: „Unser Betriebssystem ist veraltet und braucht dringend mehr als ein kleines Update für die Benutzeroberfläche.“ Man müsse ans „Eingemachte“ ran, und dies beträfe insbesondere die immer neuen Regeln und Bestimmungen, mit denen Juristen dafür sorgten, dass Entscheidungswege immer komplexer, länger und intransparenter würden.

Als damit verbundene Konsequenzen benannte der OB zwei Beispiele aus städtischer Sicht: Erstens die Absicht der Stadt, in einem Abschnitt der Zahnaer Straße die Richtgeschwindigkeit auf Tempo 30 zu reduzieren. Etliche Anträge seien an der Straßenverkehrsordnung gescheitert, die ausschließlich den Autoverkehr im Fokus habe, die Belange der Anwohner und der Umwelt und damit die Lebensqualität aber außer Acht lasse. Inzwischen habe man einen weiteren Antrag gestellt, verbunden mit einem aufwendigen Lärmgutachten. Wittenberg ist Mitglied der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“, deren Ziele würden jedoch von Bundesverkehrsminister Wissing konterkariert, den Kommunen Freiheit und Eigenverantwortung für Straßen in ihrem Hoheitsgebiet verweigert.

Ein weiterer Dauerbrenner ist der Bau der Nordumfahrung, für die seit mehr als zwei Jahrzehnten geplant, umgeplant und immer wieder die Verkehrsströme neu berechnet werden mit dem Ergebnis, dass die Bürger frustriert sind und ihren Unmut bei der Stadtverwaltung ablassen, obwohl diese gar nicht originär zuständig ist. Scharf kritisierte der OB die Verteilung der Gelder des Bundes für den Straßenbau: Nach dem Motto „Bayern first“ hätten die CSU-Bundesverkehrsminister vor allem Geld in ihr Bundesland gelenkt, Minister Scheuer hätte allein für seinen Wahlkreis 130 Millionen Euro locker gemacht. Zur Wahrheit gehöre aber auch dazu, dass nur dort investiert werden könne, wo Baurecht herrsche: Letzteres scheitere an der Überregulierung und „dem fehlenden Update für die staatliche Software“.

Dass der Fertigstellung des Potsdamer Rings B 2n (Ostumfahrung) und der L 126 die Feldlerche dazwischen geflogen sei, stelle ein weiteres Beispiel dar, wie notwendige Baumaßnahmen unsinnig blockiert würden. Dass es auch anders gehe, beweise der Bau eines schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven, der nach nur 194 Tagen habe fertig gestellt werden können. Der OB forderte, „Prioritäten für solche Projekte zu setzen, die uns auch wirklich einen spürbaren Vorteil bringen.“ Wenn man den Anschluss an andere Länder nicht verlieren wolle, müsse man „mutig und zielstrebig Ziele definieren und diese, wenn auch unter schmerzhaftem Verlust liebgewordener Gewohnheiten, umsetzen.“

Trotz der systemischen Unterfinanzierung kommunaler Haushalte werde sich die Stadt nicht davon abhalten lassen, sich weiter zu entwickeln und in große Projekte zu investieren wie die Landesgartenschau 2027: „Zum einen kann die Stadt an Stellen entwickelt, verbessert, verschönert werden, wofür wir sonst keine Ressourcen hätten.“ Dies werden die Stadt in einem enormen Maße fordern und keiner wisse, wie sich die internationale Lage und die Baupreise entwickelten: „Für mich ist das Jammertal aber keine Option. Es also nicht zu versuchen, wäre mit Blick auf die Chancen und den Mehrwert für die örtlichen Handwerker, Unternehmen, Gewerbetreibenden, Hoteliers und Gastronomen töricht.“ Außerdem biete sich mit der Laga die Chance „über die Grenzen von Generationen, Parteien, Vereinen, etc. große Teile unserer Stadtgesellschaft erneut hinter einem Thema zu versammeln.“ Der Schwerpunkt werde sich an den Bedürfnissen der jungen Generation und jungen Familien orientieren.

Auch auf die Ereignisse der Silvesternacht ging der OB ein, die Häme, mit der Berlin als „failed City“ verrissen wurde, sei unangebracht, auch in Wittenberg habe es Besucher einer Silvesterveranstaltung gegeben, die es nicht wagten, nach Mitternacht über den Markt zu gehen. Ebenso wenig seien vereinfachende Erklärungen angebracht: „ Mit einem Horizont von Schnitzel und Weißwurst wurde zügig eine verfehlte Einwanderungspolitik als vermeintliche Ursache entlarvt … Viele derjenigen, die hier exemplarisch die Verrohung der Gesellschaft beklagen, haben zu dieser und zur Verschiebung roter Linien in den vergangenen Monaten permanent beigetragen.“

Die Forderung „Abschiebung statt Böllerverbot“ sei ein Zeichen von Dummheit und Dummheit sei noch gefährlicher als Bosheit, spielte Zugehör auf ein Zitat des Theologen Dietrich Bonhoeffer an. Der Ukraine-Krieg habe erneut unter Beweis gestellt, wie hilfsbereit und solidarisch die Bundesrepublik sei. Landkreise, Gemeinden, Partner aus der Wohnungswirtschaft und viele private Initiativen hätten bei der Unterbringung von Geflüchteten gut kooperiert. Probleme resultierten nicht aus mangelnder Hilfsbereitschaft, sondern aus bürokratischen Hürden, „weil wir von staatlicher Seite viel zu lange brauchen, um die mit dieser Situation verbundenen besonderen Erfordernisse in unsere üblichen Verfahren zu integrieren.“

Die großen Herausforderungen und Probleme der Gegenwart und Zukunft, zu denen auch die Klimakatastrophe zähle, könne niemand allein lösen. Dies gehe nur gemeinsam, dazu sei man aufeinander angewiesen und diejenigen, die Entscheidungen treffen müssten, hätten Wohlwollen und einen Vorschuss an Vertrauen verdient. Gerade in Zeiten, in denen die Demokratie sich in einem Zustand „gesellschaftlicher Erschöpfung“ befinde, brauche es der Kooperation, dafür bemühte der OB das Bild einer Baumleiter: Die Personen, die unten stehen, sorgen für eine sicheren Stand und Verlässlichkeit, damit sich, wer oben steht, auf seine Aufgaben konzentrieren kann. Dies setze Vertrauen voraus – der Tragenden und des Getragenen: „So funktioniert unserer Staat, unser Land, unser Landkreis und unsere Stadt. Permanentes Misstrauen und Beleidigen derjenigen, die nicht bereit sind, einen messbaren Beitrag in der Pyramide unseres demokratischen Leitersystems zu erbringen, sind kein Beitrag zur Problemlösung.“

Ehrenurkunde und Cranach-Preis

Nach der Rede des OB erhielten die langjährigen Geschäftsführer der Stadtwerke und des SPZ „Am Lerchenberg“, Hans-Joachim Herrmann und Matthias Henschel, die Ehrenurkunde der Stadt Wittenberg und trugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Die Cranach-Preisträger des Jahres 2022, Eva Löber und Marco Glaß, die zum ursprünglichen Verleihungstermin verhindert waren, bekamen den Lucas-Cranach-Preis und trugen sich ebenfalls ins Goldene Buch ein. Für die musikalische Umrahmung des Neujahrsempfangs sorgte das „Salonorchester Wittenberg“ unter der Leitung von Michel Kautzsch. Nach dem offiziellen Teil wurde das im Vergleich zu den Vorjahren abgespeckte Buffet eröffnet und konnte dank des Sponsorings der Stadtwerke das Tanzbein mit Musik der Leipziger Band „Livestyle“ geschwungen werden.

Bild 1: OB Torsten Zugehör (l.) und die Stadtratsvorsitzende Franziska Buse zeichneten Hans-Joachim Herrmann (2.v.r.) und Matthias Henschel für ihre Verdienste als langjährige Geschäftsführer der Stadtwerke und des SPZ „Am Lerchenberg“ mit der Ehrenurkunde der Lutherstadt aus. Fotos: Constanze Weigel

Von Redaktion