Freitag, 17.10.2025

Wittenberg (md). Deutschland steht vor einer großen Herausforderung: Auf der einen Seite wächst der Bedarf an Pflege und auf der anderen Seite sinkt die Zahl derer, welche die anspruchsvolle Aufgabe der Pflege von Menschen übernehmen können.

„Die aktuellen Reformvorhaben zur Pflegeversicherung liefern nicht die nötigen Antworten, wie die Herausforderung gemeistert werden soll“, stellt Barbara Höckmann, Vorsitzende des Präsidiums des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt, fest. „Die Chance einer grundlegenden Lösung der Finanzierung der Pflege wurde verpasst. Selbst die Vorhaben des Koalitionsvertrages, die die Pflegeversicherung finanziell von ‚Fremdleistungen’, wie beispielsweise den Ausbildungskosten, entlastet hätten, sind nicht in das Pflegeunterstützungs- und Pflegeentlastungsgesetz, das am 5. April 2023 das Bundeskabinett passiert hat, aufgenommen worden.“

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Damit würden pflegebedürftige Menschen weiterhin in die Armut gedrängt. Die geplanten Erhöhungen von Pflegegeld und Sachleistungsbeträgen in Höhe von fünf Prozent stellten nur einen Tropfen auf dem heißen Stein dar und würden die Kostensteigerungen der letzten Jahre nicht genügend auffangen. Das freiwillige Engagement pflegender Angehöriger werde zu wenig wertgeschätzt und unterstützt.

Selbst das bereits im Gesetzesentwurf enthaltende „Entlastungsbudget“ in Form eines Jahresbetrages in Höhe von 3.386 Euro, das pflegenden Angehörigen mehr Flexibilität und Erleichterung in der Pflegearbeit gegeben hätte, wurde wieder gestrichen. Zudem erfolgt nach wie vor eine Ungleichbehandlung pflegebedürftiger Menschen mit Behinderung, die in Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, indem sie nicht den vollen Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung erhalten wie andere pflegebedürftige Menschen.

In Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten in den Pflegeeinrichtungen vor Ort in den AWO Kreis- und Regionalverbänden hat die AWO mit der Infooffensive zur Pflege auf die Schieflagen aufmerksam gemacht, Lösungsvorschläge unterbreitet und ist dabei auf offene Ohren gestoßen. „Allerdings fehlt es am durchgreifenden politischen Handeln. Aber steter Tropfen höhlt den Stein, wir werden weiterhin den Dialog suchen und mit Nachdruck auf Lösungen aufmerksam machen“, verspricht Barbara Höckmann.

Die AWO versorgt in Sachsen-Anhalt fast 3.000 Menschen in 58 stationären, teilstationären und ambulanten Einrichtungen und Diensten. Der Kreisverband Wittenberg bietet Kapazitäten für mehr als 150 Menschen. „Wir wissen, dass die Pflege im Wandel ist und sehen die Risiken, aber auch die Chancen“, erklärt Geschäftsführerin Corinna Reinecke. „Unsere Mitarbeitenden in der Pflege sind eine große Stütze und ein besonderer Schatz. Wir nutzen die Gelegenheit, aus Anlass des ‚Internationalen Tags der Pflege’, unsere Mitarbeitenden am 15. Mai ab 13 Uhr zu würdigen und haben eine kleine Dankesfeier im Katharinensaal geplant.“

Lösungsvorschläge der AWO

Die Pflegeversicherung muss zu einer solidarischen Bürgerversicherung ausgebaut werden. Das bedeutet, dass alle Berufsgruppen in die Finanzierung der Pflege einbezogen werden müssen. Die Begrenzung der Eigenanteile ist in der Höhe wie in der Dauer notwendig, um Pflege und deren Kosten für die Betroffenen planbar zu machen.

Die Pflegeversicherung muss um Kosten entlastet werden, welche nicht in diesen Bereich hineingehören wie medizinische Leistungen, diese sind über die Krankenversicherung zu finanzieren. Auch Ausbildungskosten sind eine pflegeversicherungsfremde Leistung und deshalb über Steuern zu finanzieren. Die Investitionskosten (z.B. Kosten für notwendige Umbaumaßnahmen, Instandhaltung und Modernisierung) gehen derzeit auch zu Lasten der pflegebedürftigen Menschen, diese müssen durch das Land übernommen werden.

Pflegende Angehörige müssen durch einen finanziellen Ausgleich mehr unterstützt werden, in dem deren Pflegearbeit bezahlt wird. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin aus dem Jahr 2022 ist jeder fünfte pflegende Angehörige armutsgefährdet. Längst überfällig ist eine Gleichstellung von Menschen mit Behinderung beim Anspruch auf Pflegeleistungen – unabhängig vom Wohnort. Ihnen müssen die gleichen Leistungsbeträge gezahlt werden, wie pflegebedürftigen Menschen in stationären Altenpflegeeinrichtungen.

Bild: Corinna Reinecke, Geschäftsführerin des AWO-Kreisverbandes Wittenberg. Foto: Wolfgang Gorsboth

Von Redaktion