Freitag, 24.10.2025

Wittenberg (wg). Wie die Redaktion des Magazins „Mittendrin Wittenberg“ erfahren hat, ist Lars Unruh, einer der beliebtesten Sänger im Ensemble des in 2002 geschlossenen Mitteldeutschen Landestheaters, im Alter von 82 Jahren verstorben.

Er sang den Rocco in „Fidelio“, den Fallstaff in „Die Lustigen Weiber von Windsor“, den Mephisto in „Margarete“, den Darland in „Der Fliegende Holländer“, er war in vielen Operetten und Musicals zu erleben und wirkte auch im Schauspiel und im Kabarett mit. Dies umreißt die Spannweite seiner Darstellungskraft, die sowohl Heiteres wie Tragisches umschloss. Seine zahlreichen Verkörperungen profilierter Figuren insbesondere der Opernliteratur waren stets eindrucksvolle Interpretationen, mit denen er die Herzen des Publikums eroberte.

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„Ich bin bekennender Christ, aber kein Heiliger, ich war kein Streber, bin aber ein an vielen Dingen sehr interessierter Mensch, ich bin nie einer Partei beigetreten, aber habe mich politisch engagiert“, sagte das Gründungsmitglied des Neuen Forums einmal im Gespräch mit dem Verfasser dieses Artikels. In der Wendezeit arbeitete Unruh in verschiedenen Kommissionen mit, die mit den Vertretern des SED-Staates über deren Entmachtung verhandelten.

Unruh wurde 1984 wegen Spionageverdacht und Republikflucht verhaftet und saß 15 Monate im „Roten Ochsen“ in Halle. Im Stasiknast hat er die Macht und zugleich Ohnmacht des Staates, aber auch Solidarität erlebt. Die Stasi zerstörte während der Haftzeit eine intakte Beziehung und unternahm auch sonst alles, um das Selbstvertrauen des Mannes zu vernichten. Nach der Entlassung stand er vor dem Nichts, es folgte der psychische Zusammenbruch. Hass gegen jene, die ihn damals psychisch und physisch quälten, empfand er nicht: „Wohl aber hätte ich mir gewünscht, dass die Ideale der friedlichen Revolution auch im vereinten Deutschland weiter gewirkt hätten und dass die Geschichte der DDR intensiver aufgearbeitet worden wäre.“

Der am 29. Oktober 1940 in Posen geborene Sänger wollte eigentlich Theologie studieren, doch das Seminar in Salzelmen wurde auf staatliche Anordnung geschlossen. Stattdessen machte Unruh 1965 an der Karl-Marx-Universität Leipzig sein Examen in Musikerziehung und Deutsch mit der Lehrbefähigung für Erweiterte Oberschulen. Die Musikalität war ihm offenbar in die Wiege gelegt worden, denn sein Großvater arbeitete als Kapellmeister in Berlin. An der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig absolvierte er von 1968 bis 1971 ein Zweitstudium als Gesangssolist und Gesangspädagoge. An der Musikhochschule arbeitete Unruh als Dozent, später auch an der Evangelischen Kirchenmusikschule in Halle.

Zum Zweitstudium hatte ihn Helmut Bläss angeregt, der damals Oberspielleiter des Leipziger Operettenhauses war. Bläss war es dann auch, der den jungen Bassisten Unruh 1971 an das Wittenberger Theater holte. Dem Ensemble hielt Unruh bis zu seiner Verhaftung 1984 die Treue. Nach der Haft war eine Rückkehr nach Wittenberg nicht möglich, ein Anruf des damaligen Intendanten Dieter Braun führte ihn deshalb von der einen in die andere Lutherstadt. Im Oktober 1985 stand er das erste Mal auf der Eisleber Bühne als Falstaff in „Die Lustigen Weiber von Windsor“ und avancierte sofort zum Publikumsliebling.

Bis 1995 bleib Unruh an der Landesbühne Eisleben als letzter Vertreter des dort abgewickelten Musiktheaters, dann kehrte er nach Wittenberg zurück. „An kaum einem Theater wurde soviel Spielfreude und Improvisationskunst gepflegt wie in Wittenberg“, so Unruh. „Dies war vor allem dem pädagogischen Können von Bläss geschuldet, der ein Meister der großen und kleinen Theaterkunst war.“ 2002 erlebte Unruh die Abwicklung des Mitteldeutschen Landestheaters: „Wie ein Schwein wurde man von einem Tag auf den anderen vom Hof gejagt“, sagte er damals. Dem Theater in Wittenberg habe die Lobby gefehlt, die Verantwortlichen in der Politik hätten nicht ernsthaft nach Alternativen für den Erhalt des Theaters gesucht.

Ohne Arbeit ist Unruh gleichwohl nicht geblieben, dafür sorgte seine ungebrochene Passion als Musikpädagoge: Unruh erteilte Gesangsunterricht an der Musikschule in Jessen und er leitete viele Jahre den Stadtsingechor Wittenberg. Er sang im Chor der Schlosskirchengemeinde und auch im Gospelchor. Er war aktives Mitglied im Gemeindekirchenrat und als Lektor tätig. Im Mehr-Generationen-Haus leitete er Singnachmittage für Senioren und er war stellvertretender Vorsitzender des Phönix-Fördervereins. Von Anfang an unterstützte er auch das 2008 gegründete Clack Theater. Die letzten drei Jahre lebte Unruh im Senioren- und Pflegezentrum (SPZ) „Am Lerchenberg“.

Bild: Lars Unruh mit Karin Freydank, langjährige Sängerin am Mitteldeutschen Landestheater, beim Sommerfest des Phönix-Fördervereins. Foto: Wolfgang Gorsboth

Von Redaktion